Spindgeschichte Josefine

Jeder Abschied ist ein Neuanfang – so sagt man anscheinend bei euch Menschen, Na mal sehen, was auf mich zukommt. Zuerst muss ich mich bei euch vorstellen: Momentan heiße ich „E4022SA” – was immer das bedeuten mag. Ich bin ein Schließfachschrank und manche sagen, ich sei ein Spind. Meine Freundinnen links und rechts von mir sagen „Josefine” zu mir. Ehrlich gesagt, das gefällt mir schon besser.

Morgen aber heißt es Abschied nehmen von „E4011SA“ links von mir und „E4044 SA“ rechts von mir. Beides auch sogenannte Spinde – von mir aber Luisa und Rosa genannt. Ich wurde gekauft! Ab morgen ist mein neues Zuhause eine Schule und alle meine neuen Nachbarinnen sind dann anscheinend auch „E4022SA“ – ob die dann auch alle gleich ausschauen wie ich? Ich bin natürlich schwer zu schlagen mit meinen Traummaßen von 30 cm Breite, einer Tiefe von 50 cm und einer Höhe von 200 cm – die Idealfigur für einen Schließfachschrank. Gebaut aus l -mm-Blech, einer eingesetzten Türe, Zylinderschloss und obenliegenden Lüftungsschlitzen – rot pulverbeschichtet! Damit ich dann auch leicht wiederzufinden bin, gibt es an meiner Spindtüre ein Nummernschild: Mein Traum wäre natürlich die Nummer l!

Innen besitze ich eine Garderobenstange mit Hängehaken. Außerdem wurde ich mit einer Schuhtasse ausgestattet – einfach ideal für einen Spind. Meine neue Nutzerin wird wahrscheinlich eine Schülerin der HAK 2 sein – oder ein Schüler – egal. Ich freue mich schon auf mein neues, sinnvolles Leben als versperrbarer, sicherer Schließfachschrank.

Moderne Kleidungsstücke, tolle Schule und ganz intime Sachen werden dann in mir wohnen und ich werde gewissenhaft darauf aufpassen. Vielleicht darf ich dann auch manchmal einen Laptop oder ein Handy beschützen – dafür sind wir Spinde einfach geschaffen worden. Außerdem freue ich mich schon auf die Gespräche der Schülerinnen und Schüler, die ich belauschen darf. In der Produktionshalle, aus der ich stamme, habe ich immer nur Fachgespräche gehört.

Die Gespräche der Schülerinnen werden sich eher um die Schule, die Lehrerinnen und um sehr persönliche Dinge drehen. Eigentlich habe ich dann so etwas wie eine Vertrauensposition. Aber keine Angst: Spinde plaudern nichts aus! Spinde können Geheimnisse für sich behalten, so wie sie die Dinge in sich aufbewahren und vor Zugriff sichern. Spinde sind einfach eine tolle Sache. Am meisten aber freue ich mich auf Komplimente, die ich irgendwann mal bekommen werde – so wie: „Mein toller Spind”.

Soeben kommt ein Lagerarbeiter und bereitet mich auf meine Reise in die Schule vor. Ich werde auf Hochglanz poliert, innen nochmals gereinigt und in eine Luftpolsterfolie gewickelt, auf eine Palette gestellt und zusätzlich mit Wickelfolie eingepackt. Wir wollen ja nicht, dass ich beim Transport eine Schramme oder eine Delle abbekomme. Wie würde das denn ausschauen? Zum Schluss kommt noch eine Bezettelung außen drauf, wo draufsteht, wohin meine Reise geht – leider kann ich nicht lesen.

So, jetzt wird es ernst – ich werde gleich abgeholt und auf einen Lastkraftwagen verladen. Spannend so eine Reise, bei der man nicht weiß, wohin die Reise geht. Spinde weinen nicht! Auf Wiedersehen Rosa und Luisa, ich wünsche Euch eine spannende, erlebnisreiche Zukunft!